Er schaute in den Regen hinaus und
wartete, dass er aufhörte. Da sah er eine Krähe mit gebeugtem Kopf und
tropfnassen Federn, die glänzten wie Pech. Er wünschte, der Vogel würde
wegfliegen, aber er blieb triefend und einsam hocken. Maureen war so
beschäftigt, dass sie Harolds Abwesenheit kaum bemerkte.
– Seite 149 –
Man
weiß, das der Winter nun wirklich da ist, wenn es bereits um fünf Uhr abends
stockdunkel ist, und man seine Pläne (vor allem die, die mit Fotografie und
hellen Bildern zu tun haben) einfach mal komplett umschmeißen muss. Aber
irgendwie hat es was Schönes, ich mag diese Kälte, die vielen Lichter der
Stadt, und wenn man etwas außerhalb wohnt, kann man die Sterne sehen. Alles
wird ruhiger und alle sind so niedlich bis zur Nasenspitze in Mäntel und Schals
eingewickelt.
Ich
werde auch weniger unternehmungslustig – was mir wiederum mehr Zeit gibt, in
meiner Lieblingswelt zu versinken, den Büchern. Und heute habe ich ein ganz
besonderes für euch: Die
unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry.
Er sah sich nicht um. Winkte nicht. Er
hatte ihr Profil am Fenster entdeckt und schritt so kühn aus, wie er konnte,
denn vielleicht machte sie sich ja Sorgen wegen seiner Blasen oder seiner
Segelschuhe; ob sie es sich wohl wünschte, dass er sie nicht allein ließ mit
einem Hund und einem Paar Wanderstiefel? Es war nicht einfach, ihr Gast gewesen
zu sein. Es war nicht einfach, ein bisschen zu begreifen und dann wegzugehen.
– Seite 176 –
WORUM GEHT’S?
Harold
Fry ist ein gewöhnlicher Mann, der seine besten Jahre bereits hinter sich
gebracht hat. Seit einem halben Jahr in Pension, seit zwanzig Jahren schläft er
nicht mehr im selben Bett wie seine Frau, es gibt nicht mehr viel zu bereden. Kaum
etwas, das nicht schon gesagt worden wäre. Er führt ein ruhiges, gewöhnliches
Leben. Bis eines Tages der Briefträger einen rosa Brief bringt, einen Brief, in
dem seine Kollegin Queenie ihm mitteilt, dass sie sterben werde. Doch nur einen
Antwortbrief zu schreiben, das kommt Harold dumm vor. Deshalb geht er am
Briefkasten vorbei. Und am nächsten. Und am übernächsten. Und an dem danach
auch.
Die Welt bestand aus Menschen, die einen
Fuß vor den anderen setzten, und vielleicht kam einem das Leben eines Menschen
gewöhnlich vor, nur weil er sehr lange genau das getan hatte: einen Fuß vor den
anderen zu setzen. Harold konnte an keinem Fremden mehr vorbeigehen, ohne die
Tatsache zu würdigen, dass alle Menschen gleich waren und doch einzigartig, und
dass darin das Dilemma des Menschseins bestand.
– Seite 191 –
MEIN SENF DAZU
Ich
wurde mal wieder sprachlos zurückgelassen, so sprachlos, dass ich erst einmal Pizza
essen musste, mir Youtube-Videos über „peinliche“ Emofotos aus der
Vergangenheit mir unbekannter Youtuber anzusehen und nun vielleicht die
richtigen Worte finden kann. Vielleicht.
Der
Protagonist Harold Fry ist ein unglaublich sympathischer Charakter, schrullig,
ruhig, mit einem gewöhnlichen Leben, das ganz gewöhnlich im Laufe der Jahre auch
ein paar Schattenseiten mit sich gebracht hat. Er ist nichts Besonderes, und trotzdem wächst einem gleich ans Herz,
mit seiner schwermütigen Art, seinem Kampfgeist und der nüchternen
Gleichgültigkeit, die er seinem Eheleben entgegen bringt. Rachel Joyce hat
eine Figur geschaffen, die gleichzeitig so unspektakulär und gewöhnlich ist,
und trotzdem etwas Heldenhaftes mit sich bringt.
Und
auch sonst hatte die Charakterisierung, ganz gleich, wie kurz der Auftritt der
Person in dieser Pilgerreise war, etwas Liebevolles, Behutsames an sich. Denn
nicht nur Harold Fry darf seine Geschichte erzählen, es sind viele weitere,
allen voran Harolds Frau Maureen und natürlich der immerzu trauernde Nachbar
der Frys. Kompliment an Rachel Joyce, diese Detailverliebtheit geben dem Buch
diese besondere Atmosphäre, wie man sie auch in Forrest Gump oder Die unendliche
Geschichte finden kann.
Der
Schauplatz wurde ebenso perfekt ausgewählt, wie die Charaktere. England, das
erscheint nicht ganz unrealistisch, nicht unmachbar, und trotzdem nach einer
Riesenentfernung. Die Autorin verzichtet gänzlich auf bekannte Schauplätze, und
lässt Harold ohne viel Aufsehen zu erregen einfach losmarschieren. Es sind die
kleinen Dinge, auf die in Die
unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry Wert gelegt wird, die
persönliche Erfahrung, die Vergangenheit und der Personen an sich. Orte spielen
nur eine untergeordnete Rolle. Und das ist gut so!
Dieses
Buch ist einfach ein Gesamtkunstwerk möchte ich fast sagen. Man spürt, wie eine
Idee, die Idee einen Pensionisten quer durch England marschieren zu lassen,
ohne Handy, ohne Landkarte, nur um eine Freundin, von der er seit zwanzig
Jahren nichts mehr gehört hat, vor dem Sterben an Krebs zu bewahren, verwandelt
wurde in etwas Wunderbares, Einzigartiges. Schon
als ich dieses Buch vor zwei Jahren in der Buchhandlung in meinen Händen
gehalten habe, habe ich gespürt, dass viel harte Arbeit, Leidenschaft und eine
ganz kleine, aber umso magischere Geschichte dahinter steckt.
Ich
habe Recht behalten.
Eine
unglaublich kluge Geschichte über Mut, eine außergewöhnliche Liebe, das Erwachsenwerden
und Über-sich-Hinauswachsen, Vergebung und das Loslassen. Ein wundervolles
Buch, das in mir das Gefühl hervorruft, etwas aus meinem Leben machen zu
wollen, in die Welt hinauszugehen und zu helfen, und wenn es nur ein Lächeln
ist, wenn es nur ein Weg ist, den man glaubt gehen zu müssen, auch wenn genau
das für alle anderen gar keinen Sinn machen würde.
Und
wer jetzt glaubt, dass solche Geschichten nur in Büchern zu finden sind, der
sollte sich unbedingt die Geschichte von Eric Hites, besser bekannt als „Fat Guy Across America“ - klick! - ansehen, der
ebenfalls auf einer Pilgerreise ist, in der er nicht nur seine Frau
zurückgewinnen will (das hat er bereits geschafft) sondern auch seine
Gesundheit. Bewundernswert, sowohl Rachel Joyce, die mit Harold Fry einen
Antihelden geschaffen hat, als auch Eric Hites.
Das
war mal wieder eine ausführlichere Rezension, aber das ist ein Buch, das ich
nicht mit wenigen Worten abtun will. Geht
unbedingt mit Harold Fry auf diese Pilgerreise. Es lohnt sich.!
Ihr wurde aufs Neue bewusst, wie leicht
sich das menschliche Herz immer wieder aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Ein
junger Mensch, der Rex auf der Straße begegnete, würde ihn als hilflosen verbrauchten
alten Mann wahrnehmen, der den Kontakt zur Realität längst verloren hatte. Doch
unter seiner wächsernen Haut schlug das Herz in seinem fülligen Körper noch
immer mit der Leidenschaft eines Teenagers.
– Seite 255 –
Autor: Rachel
Joyce
Titel: Die
unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry
Originaltitel: The Unlikely Pilgrimage of Harold Fry
Genre: Roman
Erschienen: 2012
Verlag: Weltbild
GmbH
Umfang: 378 Seiten
ISBN: 978-3-86365-527-3
He
looked out at the rain, waiting for it to break, and saw a crow with its head
bowed, its feathers so wet they shone like tar. He wished the bird would move,
but it sat sodden and alone. Maureen was so busy she had hardly noticed Harold
had gone.
– source
–
You know, it’s
really winter, when it’s already dark when your watch says it’s only 5 pm, and you
have to knock over all your plans (especially those which include photography
and bright pictures). But somehow this season has a special beauty. I like the
coldness, all the lights of the city in the dark, and if you’re living a little
bit more outside of it, you can see the stars. Everything is getting more
silent and everybody wears cosy scarfs up to the nose – that’s so cute!
I’m becoming less
adventurous – what gives me more time to flee in my favourite world, the books.
And today I’ve got a very special one for you: The unlikely Pilgrimage of Harold Fry.
He didn’t look back. Didn’t wave. He saw her profile
at the window and stepped out as keenly as he was able to, because maybe she
worries about his blisters or his yachting shoes, if she wished, he wouldn’t
let her alone with a dog and a pair of trekking shoes? Being her guest wasn’t
easy. It wasn’t easy to conceive a little bit and then going away then.*
WHAT’S IT ABOUT?
Harold Fry is a
usual man, which already had left the best years behind him. For a half and a
year in retirement, for the last twenty years he hasn’t been sleeping in one
bed with his wife, there’s simply not much left to talk about. Hardly something
which hadn’t been already said. He has a calm, usual life. Until one day the
mailman brought a pink letter, a letter, in which his former co-worker Queenie
tells him, that she’s gonna die. But just writing and answering letter, that’s
too simple, nearly stupid, Harold thinks. That’s why he moves on, not
considering the mailbox. And the next one. And not the one after the next one.
And also not the one after this one.
The world was made up of people putting one foot in
front of the other; and a life might appear ordinary simply because the person
living it had done so for a long time. Harold could no longer pass a stranger
without acknowledging the truth that everyone was the same, and also unique;
and that this was the dilemma of being human.
- source -
PUTTING MY
OAR IN
I was left
speechless again, this speechless, that I have to eat some pizza, watch some
Youtube videos about “embarrassing” emo pictures from the past of youtubers I
don’t even know first, to find now the right words. Maybe I can find them now.
The protagonist
Harold is an incredibly loveable character, quirky, silent, with an absolutely
normal life, which also brought as normal as it is, some shadow sides with the
year. He’s nothing special, but
nevertheless he’s a person I easily and quickly took to my heart with his
melancholy nature, his fighting spirit and the sober carelessness with what he
meets his married life. Rachel Joyce created a figure, which is very
unspectacular and usual, and still brings something heroic with it, at the same
time.
In general her characterisation,
no matter how short the appearance of the person was on this pilgrimage, had
something very tender, cautious in it. Because not only Harold Fry is able to
tell his story, there are so many more, first of all Harold’s wife Maureen and
the naturally always mourning neighbour Rex. A big compliment to Rachel Joyce
for such a love for details, because it’s these details which are giving the
book this special mood, like you can find it in Forrest Gump or The
neverending Story.
The setting is
chosen as perfectly as the characters are. England, it doesn’t seem to be
unrealistic, not impossible to do and still it’s a huge distance. The author totally
quits well known places, and lets Harold just go his way without making much
trouble. The small things are the really precious one in The unlikely Pilgrimage of Harold Fry. The personal experience, the
past and the people itself. Places aren’t important – and that’s good!
This books is
simply and overall piece of art, I’d like to say. One can feel how an simple
idea, the idea of letting a retiree ‘taking a walk’ through England, without a
mobile, without a map, just to save an old friend, who he hadn’t seen for more
than twenty years, from dying at cancer, grew to such a wonderful, unique
story. Already as I held this book in my
hands for the first time, I guess two years ago, I felt that there’s hard work,
passion and a little, but very magical story behind it.
And I’m proved
right.
An incredibly
intelligent story about courage, an exceptional love, growing up and outgrowing
yourself, forgiveness and letting go. A wonderful book, which evokes the
feeling in me, to stand up and make something out of my life, walk out into the
world and help, even if it’s just a smile, if it’s just a way, you believe you
have to go, even if nobody else in the world will ever understand.
And who believes,
that such stories only can happen in books or in movies, those of you should
definitely check out the story of Eric Hites, better known as “Fat Guy Across America” - click! -, who’s on a
pilgrimage too, on what he not only wants to regain his wife (what he actually
did), but also his health. Admirable, both, Rachel Joyce who created with
Harold Fry a loveable anti-hero, and Eric Hites.
That was a kind of
more extensive bookreview again, but it’s a book, I don’t want to describe in a
few words. Go on this pilgrimage with
Harold Fry! It’s really worth it.
RELATED | The Neverending Story || Elizabeth is Missing || Love Letters to the Dead |
*freely translated from the German version, couldn't find the English one
written by Casey.
Wow, das klingt wirklich gut. Ich glaube, das muss ich auch mal lesen!
AntwortenLöschenLG, Solveig