Es
ist der Dritte. Der Dritte von irgendeinem Monat. Zum wiederholten Mal checkt
sie ihren Kontostand. Langsam verzweifelt sie, das Geld sollte schon seit Tagen
da sein. Seit dem Ersten schaut sie zwanzig Mal am Tag in ihre Bank-App. Nichts.
Nur die Versicherung wurde abgebucht. Kontostand unverändert.
Der
Vierte. Es ist Morgen, sie ist gerade erst fähig, die Augen beim grellen
Kunstlicht offen zu halten. Ein Blick aufs Konto. Nichts Neues. Morgen muss die Miete bezahlt sein, denkt
sie. Das geht sich nie aus, die Vermieter
sind bei einer anderen Bank. Abends vor dem Fernseher, ein letzter Blick
für heute. Endlich. Auch wenn es trotzdem
nicht pünktlich ankommen wird.
Samstag,
sechs Uhr morgens. Sie wirft die Arme hoch in die Luft, tanzt um ihre Freundin,
lacht ausgelassen und zeigt auf den Horizont. „Siehst du das? Die Sonne geht
schon auf!“ Ihre Freundin starrt sie an. Und einen Moment später lächelt sie
über ihr Mädchen. „Ich liebe diesen kurzen Moment, in dem das zarte Blau und
der hellgelbe Rand des Sonnenaufgangs sich treffen und einen schmalen Streifen
Grün schaffen.“
„Ich
weiß“, sagt sie lachend, den Kopf über so viel Energie nach einer Nacht in
einer verrauchten Bar und kaum einer Minute, die ohne zu tanzen verbracht hatte.
„Das erzählst du mir immer um diese Uhrzeit.“
Und
sie plappert weiter, irgendetwas, sie ist zu laut, und zu aufgekratzt, sie
weiß, dass die Leute sie anstarren, sich wundern, sich vielleicht sogar
fremdschämen – aber so sind die Leute in den Morgenstunden. Sie glauben
bestimmt, sie sei betrunken, sie fühlt sich auch als wäre sie betrunken. Aber
sie ist nüchtern. Sie ist immer nüchtern.
Plötzlich
rennt sie los, sie spürt die eisige Luft in ihrer Lunge, wie ihr der Atem
wegbleibt. Nach ein paar Metern bleibt sie stehen und lacht. Und obwohl sie kaum atmen kann
und die
ganze Nacht getanzt hat, dreht sie sich wieder im Kreis, die Arme hoch in der
Luft; das Morgengrau schmeckt nach Freiheit. Und das Leben ist so schön.
Es ist perfekt.
Montag
Morgen, das Wochenende scheint so fern. Es ist dunkel, außerhalb der Decke
eiskalt und eine neue Woche beginnt. Es fühlt sich nicht nach einem guten Start
an, sie wünschte, es wäre schon Freitag, sie müsste nicht zur Arbeit, sie
könnte das echte Leben leben. Aber sie steht auf. Weil sie muss. Sie fühlt sich
verloren zwischen all den Pflichten, den Aufgaben, egal ob die freiwilligen
oder die, um die man nun mal nicht herumkommt. Eigentlich will sie sich die
Decke wieder über den Kopf ziehen und bis Mittag schlafen. Sechs Uhr morgens.
Keine
Nacht durchtanzt, kein Lachen, kein Plappern und keine eisige Luft nach einem
spontanen Lauf in den Horizont. Müdigkeit.
Anstrengende Arbeit. Die Miete. Aber der grüne Streifen. Nicht nur für den
Kontostand. Auch für sich selbst und die Menschen in ihrem Leben.
Und
irgendwo dazwischen, irgendwo zwischen Existenzängsten und durchtanzten Nächten,
da ist sie, widersprüchlich, zu erwachsen und zu kindisch, zu ernst und zu
übermütig, zu wenig Pumps im Schrank und zu viele Boots. Aber egal ob erwachsen
oder kindisch, ernst oder übermütig, in Pumps oder in Dr Martens – immer sie selbst. Tag für Tag. Nacht
für Nacht.
It’s the third. The third of any
month. Yet again she’s checking her account balance. Slowly she despairs, the
money should have been on her account for yonks. Since the first she has been
checking her mobile banking app about twenty times a day. Nothing. Just the fee
for her insurance was written off. Account balance steady.
The fourth. It’s morning, she
is only capable to keep her eyes open in the loud artificial illumination. A
view on the account. Nothing new. Tomorrow
rent has to be paid, she’s thinking. That
will never work; the landlords are at a different bank. In the evening in
front of the TV, one last view. Finally.
Even if it won’t be there on time.
Saturday, six o’clock in the
morning. She’s throwing her arms up in the air, dances around her girlfriend,
she’s laughing hilariously and points at the horizon. “Can you see it? The sun
is already rising!” Her girlfriend stares at her. And one moment later she
smiles about her girl. “I just love this short moment in which the soft blue
and the yellow edge of the sunrise meet each other and create a tiny stripe of
green up in the sky.
“I know”, she says laughing,
with a shake of her head in disbelief of so much energy after a night in a
smoky bar and hardly one minute without dancing. “You’re always telling me this
at this time.”
And she sputters on, some
nonsense, she is too loud, and too cheerful, she knows, the people stare at
her, wonder, maybe they are embarrassed for her – but so people are in the
first hours of the day. Certainly they think she’s drunk, she feels drunk. But she’s sober. She’s
always sober.
Suddenly she runs off, she’s
feeling the icy air in her lungs, how her breath caught. After a few meters she
stops and laughs. And although she can’t breathe and she was dancing the whole
night long, she turning around herself again and again, her arms high up in the
sky, the dawn tastes of freedom. And life
is so beautiful. It is perfect.
Monday morning, the weekend
seems to be far away. It’s dark, the bedroom outside the blanket is freezing
and a new week begins. It doesn’t feel like a good start, she wishes it would
be already Friday, she hadn’t go to work, she could live the real life. But she
stands up. Because she have to. She feels lost between all her duties, her
tasks, it doesn’t matter if they’re chosen voluntary or not. Actually she wants
to hide under the blanket and sleep the whole day long. Six o’clock in the
morning.
No nights danced away, no
laughing, no sputtering and no icy air after a spontaneous run to the horizon. Tiredness. Exhausting work. The rent.
But the green stripe. Not only for the account balance. Also for herself and
the people in her life.
And somewhere in between,
somewhere between existential fear and danced away nights, there she is,
contradictory, too grown up and too childish, too serious and too hilarious,
too less pumps in the closet and too many boots. But it doesn’t matter if grown
up or childish, serious or hilarious, in pumps or in Dr Martens – always herself. Day for day. Night for
night.
Wow! Die sind beide sehr sehr hübsch
AntwortenLöschenwww.thefashionfraction.com
Das hast Du wundervoll geschrieben. Ich weiß gar nicht was davon mich am meisten anspricht, einfach stimmig und schön verfasst!
AntwortenLöschenLiebst,
the Curious Girl